50 Jahre DHB-Pokal - Das Magazin

Christoph Theuerkauf wurde für das Final4 reaktiviert

GENSHEIMERS GESTILLTE SEHNSUCHT

Neunmal scheiterte Uwe Gensheimer mit den Rhein-Neckar Löwen beim Pokal-Final4 in Hamburg. Nach dem Triumph 2023 in Köln flossen beim Flü - gel-Star die Tränen. Fast alle stürmten auf Albin Lagergren zu, der den letzten Siebenmeter ver- wandelt und damit den Triumph der Rhein-Neckar Löwen besiegelt hatte. Uwe Gensheimer aber sank wie in Zeit- lupe zu Boden und lag eine gefühlte Ewigkeit auf dem Parkett der riesigen Lanxess Arena. Alles sei an ihm ab- gefallen, erinnert sich der Linksaußen an diese Szene, in der er mit dem Tur- nier endlich seinen Frieden schließen konnte. „Und es sind auch Tränen ge- kullert.“ Es gab viele emotionale Geschichten, die beim ersten Final4-Turnier des DHB-Pokals in Köln geschrieben wur- den. Da war dieser blutjunge Torwart David Späth, der die Löwen mit einer Siebenmeterparade in die Verlänge- rung des Endspiels gerettet hatte. Da war der furios aufspielende Spielma- cher Juri Knorr. Die größte Geschichte aber erzählte in diesen Momenten, in denen der 36:34-Sieg der Löwen gegen den SC Magdeburg feststand, ohne Zweifel Uwe Gensheimer. Für den Linksaußen, der mit seinem fa- mosen Handgelenk die Trickkiste des Handballs um viele Facetten erweitert hatte, war der DHB-Pokal bis dahin wie ein einziger Albtraum erschienen. Er war 19 Jahre alt, sein Stern eben auf- gegangen, als er das erste Mal im End-

Der Jubel nach Lagergrens letztem Siebenmeter

THEUER, DER PROPHET

spiel scheiterte, 2006 im Finale gegen den HSV. Auch 2007 und 2010 hatte er zusehen müssen, wie die Gegner nach dramatischen Endspielen den Pokal in die Höhe stemmten. Wie oft war sein Team als Favorit zum Final4-Turnier in die Hansestadt gefah- ren – und war stets gescheitert. Neun- mal fuhr Gensheimer ohne Titel wieder nach Hause. „Es lag für uns irgendwie ein Fluch über der Arena in Hamburg“, sagt er. Als die Löwen diesen Fluch endlich bannten, 2018, schaute Gens- heimer aus Paris zu, wohin er 2016 ge- wechselt war. Und dann passierte plötzlich doch der Pokalsieg – in Köln. „Es war ja auch to- tal verrückt, wie das ganze Wochen- ende abgelaufen ist und auch die Wo- chen zuvor im Verein“, erinnert sich Gensheimer. Das Team von Trainer Se- bastian Hinze befand sich im Formtief, reiste mit einer Niederlagenserie im Gepäck in die Domstadt – und schlug im Halbfinale sensationell hoch die

Flensburger (38:31), die seit Monaten ungeschlagen waren. „Unser Mindset war: Wir fahren da jetzt hin und probieren es zu genießen“, blickt Gensheimer zurück. „Wir hau- en alles da rein und schauen, was am Ende dabei rauskommt.“ Heraus kam ein Finale, das Gensheimer als „men- tale Achterbahnfahrt“ in Erinnerung hat. Neun Tore erzielte er, spielte über- ragend. Aber als er in der Verlängerung zwei Mal vom Siebenmeter-Strich scheiterte, schwante ihm wieder Bö- ses. Die Wiederholung seiner Leidens- geschichte. Aber Köln mit seiner famosen Kulisse erwies sich als Erlösung. Gensheimer traf als erster Schütze im Siebenme- ter-Werfen wie alle Löwen-Schützen – während auf der anderen Seite Gisli Kristjansson an Joel Birlehm scheiterte. Als zum Schluss Lagergren eiskalt ver- wandelte, war die große Sehnsucht des Uwe Gensheimer nach dem Pokal end- lich gestillt.

Beim Finalturnier 2021 gelang dem TBV Lemgo Lippe eines der größten Come- backs der Pokalgeschichte. Einer sei- ner Helden, Christoph Theuerkauf, hatte den Titel vorhergesagt. Am Ende, als er die silberne Trophäe in den Händen hielt, klang für den Pro- pheten alles ganz logisch. „Ihr haltet mich alle für bescheuert“, sagte Kreis- läufer Christoph Theuerkauf. „Aber ich habe das gesagt. Ich habe das jedem gesagt.“ Dabei war der Triumph des TBV Lemgo Lippe im DHB-Pokal 2019/20, der mit dem 28:24-Sieg im Finale gegen Melsungen besiegelt war, eine sportliche Sensation. Aber er war noch aus anderen Grün- den ein spezielles Kapitel deutscher Handballgeschichte. Nie zuvor hatte es länger gedauert, den Sieger des DHB- Pokals zu ermitteln. Aufgrund der Co- rona-Pandemie musste das Final4 des Jahres 2020 um ein ganzes Jahr ver- schoben werden, so dass der Sieger erst nach fast zwei Jahren, am 4. Juni 2021, feststand. Und noch immer sorg- te das Virus für leere Ränge: Nur 2.000 Fans durften in die riesige Halle. Für Theuerkauf war die Verlegung schmerzlich. „Ich hatte für 2020 eine Loge gemietet und meine Wegbeglei- ter eingeladen, um mein Karriereende würdig zu begehen. Alles war gebucht, Hotelzimmer, alles“, erzählt er. Die Ab- sage traf ihn, der nun in die Jugend- arbeit des TBV wechselte. „Das war für mich sehr schade.“ Doch dann öffnete sich doch wieder eine Tür: Wegen Personalnot wurde

er vor dem Final4 von Trainer Florian Kehrmann reaktiviert. Obwohl der TBV für das Halbfinale das härteste Los er - wischt hatte – Rekordpokalsieger THW Kiel – glaubte Theuerkauf weiter fest an den Titel. Abenteuerlich war, was dem Wunder vorausging. „Geplant war, dass wir erst ein Hotel beziehen, wir wollten dann Essen und Spazierengehen, um uns zu fokussieren“, berichtet Theuerkauf. Doch der Bus geriet in einen Monster- stau. „Unser Busfahrer musste viele Regeln übertreten, damit wir es über- haupt rechtzeitig in Halle schafften.“ Sie hätten sich wie Amateure gefühlt, als sie in Badelatschen aus dem Bus stiegen und sahen, wie die THW-Stars in feiner Montur anreisten. „Die hatten auch ein mobiles Kältebad dabei und Spinning-Räder für die Regeneration“, erinnert sich Theuerkauf. Die Folge ihrer Anreise: eine desaströse erste Halbzeit: „Der THW hat uns überrollt.“

Zur Halbzeit lag der TBV mit sieben To- ren zurück.

Nun gut, sagte jemand in der Lemgoer Kabine, „jetzt haben wir nichts mehr zu verlieren, das ist fast besser, als mit acht Toren zu führen.“ Und dann ge- schahen ab Minute 36 diese „24 irrwit- zigen Minuten“ (Süddeutsche Zeitung), in denen der TBV einen 14:21-Rück- stand in einen 29:28-Sieg verwandelte. „Unser Keeper Johannesson hat alles gehalten“, sagt Theuerkauf. „Und wir alle waren plötzlich einem Flow.“ Durch diesen glorreichen Sieg, eines der größten Comebacks der Pokalge- schichte, tankte das Team viel Selbst- vertrauen – und schlug im Endspiel auch die MT Melsungen, diesmal mit einem überragenden Keeper Finn Ze- cher. „Das ist einfach der Pokal“, sagt Theuerkauf heute über die Spiele sei- nes Lebens. Damals rief er ins Mikro- fon: „Der Glaube versetzt Berge!“

Ein höchstemotionales Wochenende für Uwe Gensheimer

Die Spieler des TBV nach dem Titelgewinn

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