TuSEM-Kapitän Thomas Happe reckt zum Abschied den DHB-Pokal in die Höhe
DER POKALSIEG 2006 ALS HAMBURGER WENDEPUNKT
Lauf in der Schlussviertelstunde dreh- ten. Held des Spiels aber war der 40jäh- rige Torhüter Goran Stojanovic, der bei einer 4:7-Unterzahl den letzten Ge- waltwurf von Mariusz Jurasik parierte, damit den 26:25 (9:10)-Sieg festhielt und Freudentränen vergoss. Der DHB-Pokal diente den Hanseaten an diesem 9. Mai 2006 als Rettungs- anker. Turbulente Zeiten lagen hinter dem Team von Martin Schwalb, der im Herbst 2005 das Traineramt über- nommen hatte. Die großen Träume des Clubs, der sich im Sommer 2002 mit der Lizenz des VfL Bad Schwartau in Hamburg angesiedelt hatte und eine Diaspora des Handballs wieder mit Le- ben füllen wollte, schienen zerplatzt. Hens war im Sommer 2003, damals 23 Jahre alt, aus Wallau nach Hamburg gekommen und als Gesicht des neuen Projekts aufgebaut worden. „Ich wuss- te damals, dass Torsten Jansen auch kommen würde und dachte: ‚Das ist eine geile Stadt, da kann etwas Großes entstehen, das ein super Projekt‘“. Auch die Brüder Guillaume und Bertrand Gille waren schon da, um den Standort wie- derzubeleben, der seit 1976 nicht mehr Bundesligahandball gesehen hatte. Aber die nötigen Zuschauer und Spon-
Nach dem Pokalsieg des HSV Hamburg 2006 schuf Pascal Hens einen ikoni- schen Moment. Für den zuvor geplag- ten Bundesligastandort ging es danach aufwärts. Das Foto. „Das habe ich immer noch in meinem Kopf“, schwärmt Pascal Hens. Es zeigte die großen Emotionen nach dem Finale um den DHB-Pokal im Jahre 2006, als der Profi in der ColorLine Are - na nach dem Sieg des HSV Hamburg mit einem Satz auf die Bande sprang, die Arme weit ausbreitete und sich von den eigenen Fans feiern ließ. „Ich liebe dieses Bild“, sagt Hens. Es war eine Szene, die an die ikoni- schen Bilder aus dem Hollywood-Opus „Titanic“ (1997) erinnert, in dem Kate Winslet auf dem Bug des Dampfers steht und zu fliegen scheint. Tatsäch - lich war der HSV ja nur wenige Monate zuvor fast zerschellt. „Wir waren kurz zuvor noch bankrott“, erinnert sich Hens an die düsteren Tage, in denen die Renaissance des Hamburger Bundesli- ga-Handballs bedroht war. Die Hauptfiguren in dem dramatischen Finale vor 13.000 Fans gegen die SG Kronau-Östringen waren Hens (fünf Tore) und Roman Pungartnik (acht Tore), die das Spiel durch einen 4:0-
HAPPES ENDSPIEL UND DAS ERSTE SIEBENMETERWERFEN
Feierte auch 2010 mit dem HSVH den Pokalsieg: Pascal Hens
soren blieben anfangs aus. Erst der Mäzen Andreas Rudolph rettete den Verein. Aber noch im Mai 2005, als der neue Präsident den Trainer Bob Han- ning nach einer „Spielerrevolte“ frei- stellte, prophezeiten viele Kritiker dem Projekt ein frühzeitiges Aus. All das blies der HSV Hamburg mit sei- nem ersten großen Titel einfach weg. Der DHB-Pokal 2006 erwies sich als Wendepunkt des Hamburger Hand- balls. Hens spürte das instinktiv nach Abpfiff. „Deswegen musste ich das einfach zelebrieren“, sagt er über jene hanseatische Titanic-Version, die er nach dem Endspiel schuf. „Es war fan- tastisch, diesen Moment mit unseren Fans zu teilen.“
Ein dramatisches Siebenmeterwer- fen entschied 1992 erstmals über den DHB-Pokalsieg. Für den Sieger TuSEM Essen war es das große Ende einer glorreichen Ära. Die Menge in der Essener Grugahalle jubelte ekstatisch, als Thomas Hap- pe den DHB-Pokal in Empfang nahm, 6.000 Menschen feierten den Kapitän des TuSEM Essen. „Das war schon ein großes Ding“, blickt Happe heute auf diesen Moment zurück. Auch weil er, der 1984 mit olympischem Silber de- koriert worden war, mit diesem 24. Mai 1992 seine sportliche Karriere beende- te. Mit dem TuSEM hatte er fast alles ge- wonnen, seit er 1982 von Dortmund gekommen war. Dreimal, 1986, 1987 und 1989, waren sie Deutscher Meister geworden, und nun hielt Happe nach 1988 und 1991 erneut den Pokal in der Hand. Ein schöner Abschluss. Der TuSEM hatte in dieser Zeit auch Künstler in seinen Reihen, etwa Links- außen Jochen Fraatz. Aber Geschichte schrieb der Klub vor allem mit einer kompromisslosen Defensive: Die Ab- wehr erlangte Berühmtheit mit dem „jugoslawischen“ 3:2:1-System, das Ju- goslawien 1972 zu Olympiagold geführt hatte. „Wir waren schon sehr beweglich und für jeden Angriff schwer zu bespie - len“, resümiert Happe heute. Er selbst agierte als vorgezogene Spitze, die Halbspieler Alfred Gislason und Tho- mas Springel standen am Neunme- ter-Kreis. „Und wenn doch mal jemand durchkam, dann räumte ihn Piet Krebs
in der Zentrale ab.“ Oder spätestens Supertorwart Stefan Hecker. Die Essener kultivierten also den Tor- mangel. Manchmal nahmen sie sich in der Pause vor, dem Gegner keine zehn Tore zu genehmigen. „Das war so ein Vernichtungsgedanke“, erinnert sich Krebs, der 1992 aber wie Gislason schon seine Laufbahn beendet hatte. In der Geschichte des DHB-Pokals war 1992 aber ebenfalls ein historischer Schnitt. Es war das letzte Mal, dass der Sieger des Endspiels in Hin- und Rückspiel ermittelt wurde (ab 1993 gab es ein Final4). Und dabei kämpfte der krasse Außenseiter wie ein Löwe: Der Zweitligist Flensburg-Handewitt, der das Hinspiel in der WikinghalleWiking Halle mit 19:20 verloren hatte, siegte zur Verblüffung aller Experten dann mit 20:19 in Essen. Das hieß: Siebenmeterwerfen. Ein Dra- ma. Nach jeweils fünf Schützen stand
es 4:4, weshalb nun Wurf um Wurf ent- scheiden musste. Fraatz verwandel- te für Essen. Als Horst Wiemann, der bärenstarke Kreisläufer, daraufhin nur den Pfosten traf, sank er zu Boden. „Ich bin so frech zu sagen, dass wir in bei- den Spielen die bessere Mannschaft waren“, sagte SG-Trainer Noka Serdar- usic. Wenn das im Essener Süden auch nie- mand wahrhaben wollte, insbesondere nicht der umtriebige Manager Klaus Schorn, war damit das Ende einer Ära eingeläutet. „Schorn war ein genialer Marketingmann“, sagt Happe, der da- nach ins Management einstieg. „Aber ich habe schon gesehen, dass sich das wirtschaftliche Umfeld verändert.“ Klubs wie Kiel und Flensburg waren dem TuSEM bald finanziell voraus. Der Pokalsieg vom 24. Mai 1992 blieb der letzte nationale Titel für die Defensiv- strategen.
Die Hamburger Spieler kurz nach Abpfiff
Horst Wiemann sinkt nach dem verworfenen Siebenmeter zu Boden
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