Das offizielle Magazin zum Jubiläum "50 Jahre DHB-Pokal"!
DER DEUTSCHE HANDBALL FEIERT 50 JAHRE DHB-POKAL
Lidl Final4 2025 lässt Handballgeschichte lebendig werden Der deutsche Handball feiert in diesem Jahr das 50-jährige Jubiläum seines DHB-Pokalwettbewerbes. Zu diesem Anlass hat die Handball-Bundesliga GmbH eine PR-Kampagne mit vielfälti- gen Content-Formaten aufgelegt. Da- mit werden der Pokalwettbewerb und das Lidl Final4 um den DHB-Pokal in den Mittelpunkt gestellt und die sieg- reichen Clubs sowie herausragende Spielerpersönlichkeiten aus 50 Jahren Pokal würdig in Szene gesetzt. Begonnen hatte alles mit dem Finalspiel um den allerersten DHB-Pokal, das am 9. Mai 1975 zwischen dem TSV Grün- Weiß Dankersen und dem TSV 1896 Rintheim im ostwestfälischen Minden ausgetragen wurde. Der erste Titel in der Geschichte des DHB-Pokals ging an die Mannschaft vom TSV Grün-Weiß Dankersen, die mit 15:14 Toren siegte. Bis einschließlich 2024 ist es 15 wei- teren Bundesligisten gelungen, sich in die Siegerliste einzutragen. Auf dem Spielfeld haben Handballer aus beiden Profiligen durch ihre Leistungen Sport -
geschichte geschrieben. Aus der Idee der Gründerväter entwickelte sich ein spannender DHB-Pokalwettbewerb mit einem Final4-Turnier, das jedes Jahr auf ein Neues Millionen von Men- schen in Deutschland und 60 weiteren Ländern in seinen Bann zieht. Das Lidl Final4 2025 steht auch für die heraus- ragende sportliche und wirtschaftliche Entwicklung des Profihandballs, des - sen Protagonisten nach wie vor eine große Fannähe pflegen. Das große Finalwochenende um den DHB-Pokal 2025 ist für den Handball- sport eine ideale Plattform, um dem traditionsreichen Pokalwettbewerb und seinen Helden eine würdige Bühne zu bieten. Im Mittelpunkt der Aktivierungen rund um die Pokalhistorie stehen zahlreiche Geschichten, die den Pokalwettbewerb des deutschen Handballs erlebbar ma- chen. Ergänzt werden diese durch eine Vielzahl von Fotomotiven und histori- schen Spielszenen, die 50 Jahre Pokal- historie lebendig werden lassen. Ab- gerundet wird das Content-Paket mit kurzen Interviews von Handballpersön-
lichkeiten aus 50 Jahren DHB-Pokal. Los geht es mit der Gründungsge- schichte im DHB-Pokal, die das erste Finale im Jahr 1975 in den Mittelpunkt stellt. Wurde dieses in der Mindener Kreissporthalle vor 1.500 Zuschauern ausgespielt, sind es inzwischen 20.000 Zuschauerinnen und Zuschauer, die die Habfinals, das Finale und das Spiel um Platz 3 in der LANXESS arena verfolgen werden - Millionen sportbegeisterte Menschen in Deutschland und in über 60 weiteren Ländern zieht es jedes Jahr aufs Neue vor die Bildschirme. Mit getragen wird die PR-Kampagne vom Deutschen Handballbund, den Clubs beider Bundesligen, von HBL- Medienpartner Dyn und weiteren Part- nern und Freunden des Handballs. Das Team der Handball-Bundesliga bedankt sich herzlich bei allen Unterstützenden und lädt Fans, Medien und Partner ein, das Jubiläum des DHB-Pokals gemein- sam zu feiern. Weitere Informationen zum DHB-Pokal und zum Lidl Final4 2025 sind unter www.lidl-final4.de verfügbar.
INHALTSVERZEICHNIS
Der deutsche Handball feiert 50 Jahre DHB-Pokal Die erfolgreichsten Vereine der Pokalgeschichte
3
IMPRESSUM
4
Die Sieger in chronologischer Reihenfolge
4
HERAUSGEBER: HBL GmbH
Der DHB-Pokal: Es begann mit einer Handballschlacht
5
Das Sieger-Gen des Heiner Brand
6
REDAKTIONSLEITUNG: Daniel Mayr, Leiter Content & Redaktion REDAKTION: Erik Eggers, Julian Vogt, Daniel Mayr FOTOS: DAIKIN HBL, Horstmüller, Bergmann, Witters, Imago, Schulze GRAFIK/LAYOUT: Satzkontor CICERO Cordes GmbH, Glücksburg Rainer Cordes cordes@cicero-mc.de
Das Pokaljahr 1980 - Das Finale der Dörfer
7
Auf dem Münchner Rathausbalkon – genauso wie der FC Bayern
8
Der FDGB-Pokal - Event in Rostock
9
Der lange Weg des THW Kiel zum ersten Pokalsieg
10
Der Aufstieg des Final4-Turniers um den DHB-Pokal zum Spitzenevent
11
Happes Endspiel und das erste Siebenmeterwerfen
12
Der Pokalsieg 2006 als Hamburger Wendepunkt
13
Die richtige Kabine
14
Die Wiedergeburt des SC Magdeburg
15
Theuer, der Prophet
16
Gensheimers gestillte Sehnsucht
17
Lidl FInal4 2025: THW Kiel - Der Rekordpokalsieger
18
Lidl Final4 2025: Die Last der Geschichte der Rhein-Neckar Löwen
19
Lidl Final4 2025: Der sechste Anlauf der MT Melsungen
20
Lidl Final4 2025: HBW Balingen-Weilstetten - Der Außenseiter
21
Das Lidl Final4 – Höhepunkt im DHB-Pokal und „Love-Brand“, die Millionen emotional berührt
22
Die Pokalsieger von 1975 bis 2024
24
2
3
ES BEGANN MIT EINER HANDBALLSCHLACHT
DIE ERFOLGREICHSTEN VEREINE DER POKALGESCHICHTE
te der Modus, den sich der DHB zum Auftakt dieses Wettbewerbes überlegt hatte. Den neuen Wettbewerb hatte der Dachverband aus dem Boden stamp- fen müssen, nachdem der Weltverband IHF am 5. Oktober 1974 im italienischen Jesolo, einem idyllischen Seebad an der Adria, auf Antrag Schwedens und Jugo- slawiens den Europapokal der Pokal- sieger aus der Taufe gehoben hatte. „In den Ländern, in denen keine Pokal- wettbewerbe durchgeführt werden“, hieß es im Protokoll, „können in den ersten Jahren Mannschaften spielen, die bei der nationalen Meisterschaft den zweiten Platz belegt haben“. Der DHB entschied, dass zunächst die beiden unterlegenen Halbfinalisten der Meisterschaft den ersten Finalisten ausspielen sollten. Dabei setzte sich der TSV Rintheim überraschend gegen den TuS Hofweier durch, nach dem 18:19 am 2. Mai in Offenburg genügte ein 12:10-Sieg im Rückspiel zwei Tage später. Wie wenig Renommee mit dem neuen Pokalwettbewerb zu gewinnen war, beweisen die Zuschauerzahlen. Beim Rückspiel in Bruchhausen sahen 900 Fans zu. Zum Finale in die Minde- ner Kreissporthalle kamen ebenfalls nur 1.500 Zuschauer. Auch der Siegespreis versprühte 1975 wenig Glanz: Neben einem Wimpel gab es einen kleinen Zinnteller. Aber das störte die ersten Pokalhelden keines- wegs, als sie ihren Titel am Abend be- gossen. „Da wurde sehr intensiv ge- fachsimpelt“, berichtet Busch lachend. „Und natürlich habe ich mir wegen des Siebenmeters ordentlich Sprüche an- hören müssen.“ Nur Becker litt immer noch: „Bei der Pokalfeier konnte ich nur mit dem Strohhalm trinken.“ Der erste Pokalsieg brachte also we- nig Ruhm. Aber die Erinnerung daran wurde mit den Jahren immer schöner. Busch wird wegen seiner 7-Meter-Ein- lage von seinen Mitspielern heute noch aufgezogen. Und das wird auch am 9. Mai 2025 so sein. Denn dann treffen sich die Veteranen zum Jubiläum, um ihren ersten Pokalsieg, dem der TSV GWD Minden in den Jahren 1976 und 1979 zwei weitere Titel im DHB-Pokal- wettbewerb hinzufügte, zu feiern. Wo? An historischer Stelle selbstverständ- lich, im Gasthof „Zum kühlen Grunde“.
Position Verein
Pokalsiege
Jahr(e)
1. 2. 3. 3. 3. 4. 4. 4. 4. 4. 4. 5. 5. 5. 5. 5.
THW Kiel
12
2022, 2019, 2017, 2013, 2012, 2011, 2009, 2008, 2007, 2000, 1999, 1998
VfL Gummersbach TBV Lemgo Lippe
5 4 4 4 3 3 3 2 2 2 1 1 1 1
1985, 1983, 1982, 1978, 1977
2020, 2002, 1997, 1995 2015, 2005, 2004, 2003 1989, 1987, 1984, 1980
SG Flensburg-Handewitt
TV Großwallstadt SC Magdeburg
2024, 2016, 1996 1992, 1991, 1988 1979, 1976, 1975
TuSEM Essen
TSV Grün-Weiß Dankersen
Rhein-Neckar Löwen
2023, 2018 2010, 2006 1994, 1993
HSV Handball
SG Wallau/Massenheim
Die 1. DHB-Pokalsiegermannschaft 1976
Füchse Berlin
2014 2001 1990 1986 1981
VfL Bad Schwartau TSV Milbertshofen MTSV Schwabing
Einen Jägermeister und eine Zigarre. Damit feierten die Männer von Grün- Weiß Dankersen einst wichtige Siege, wenn sie im Mindener Gasthof „Zum kühlen Grunde“ zusammenkamen. Das war ihr Ritual. Am späten Abend des 9. Mai 1975 dauerte es allerdings, bis sich ihr Blutdruck senkte. Das erste End- spiel um den DHB-Pokal, das sich in diesem Jahr zum 50. Mal jährt, hatte die Gemüter erhitzt. Eine Handball- schlacht lag hinter ihnen. „Ich habe noch nie so ein Spiel, was die Verletzten angeht, mitgemacht“, schimpfte damals Fritz Spannuth, Dankersens Coach. Rückraumrechts- Spieler Bernd Munck war schon in den ersten Minuten verletzt ausgeschie- den. Und dann floss sogar Blut. Rechts - außen Hans Kramer musste früh mit einer klaffenden Kopfwunde vom Feld. In der 45. Minute folgte ihm GWD-Re- gisseur Gerd Becker. „Ich erhielt im Vorbeilaufen einen Schlag ins Gesicht. Die Oberlippe wurde gequetscht und mir wurden beide Frontzähne abge- hauen“, berichtete später der Zahnme- dizin-Student. Und am Ende hätte einer ihrer Besten, Bernhard Busch, in diesem Drama bei- nahe die Rolle des tragischen Helden übernommen. Der Rückraumriese, 1,98 Meter groß, hatte bereits neun Treffer erzielt, als er in der 59. Minute zum Sie- benmeterstrich ging. Es stand 14:13 gegen den TSV Rintheim. Ein weiterer Treffer und der Titel war perfekt. Aber dann leistete sich der deutsche Nationalspieler eine Szene wie im Slap- stick: Er holte aus zum Wurf – und ver- lor den Ball nach hinten! Zum Entsetzen
der Fans nahm Rolf Barthel den ver- lorenen Ball auf und verwandelte den folgenden Tempogegenstoß zum Aus- gleich. „Ich hatte beim Ausholen den Oberschenkel mit dem Ball gestreift“, erzählt Busch von der Handball-Gro- teske, die heute viral gehen würde. Sein Nachteil: „Ich habe nie Harz benutzt, weil meine Hände eigentlich groß ge- nug waren.“
TuS Nettelstedt (TuS N-Lübbecke) 1
DIE SIEGER
Jahr
Verein
Jahr
Verein
1998 1997 1996 1995 1994 1993 1992 1991 1990 1989 1988 1987 1986 1985 1984 1983 1982 1981 1980 1979 1978 1977 1976 1975
THW Kiel
2024 2023 2022 2020 2019 2018 2017 2016 2015 2014 2013 2012 2011 2010 2009 2008 2007 2006 2005 2004 2003 2002 2001 2000 1999
SC Magdeburg
TBV Lemgo
Rhein-Neckar Löwen
SC Magdeburg
THW Kiel
TBV Lemgo
TBV Lemgo Lippe
SG Wallau/Massenheim SG Wallau/Massenheim
THW Kiel
Rhein-Neckar Löwen
TuSEM Essen TuSEM Essen
THW Kiel
SC Magdeburg
Siegtorschütze Jobst Rehse
TSV Milbertshofen TV Großwallstadt
SG Flensburg-Handewitt
Dieser Fauxpas konnte Busch am Abend aber verschmerzen. Denn sein Team-Kollege Jobst Rehse hatte das Missgeschick mit seinem Siegtreffer zum 15:14 (8:7) ausgebügelt. „Über- schäumende Freude indes gab es da- nach nicht“, hieß es im Spielbericht. Das Gefühl war vielmehr Erleichterung. Für die Dankerser fühlte sich dieser Ti- tel beinahe so wie ein Trostpreis an. Denn dass sie überhaupt im Endspiel standen, hatte mit einer schweren Niederlage zu tun. Sechs Tage zuvor hatten sie das Finale um die Deutsche Meisterschaft gegen den VfL Gum- mersbach (7:13) verloren. „Das tat weh“, erinnert sich Busch. Der Verlierer musste im Pokalfinale ran. Das besag -
Füchse Berlin
TuSEM Essen
THW Kiel THW Kiel THW Kiel
TV Großwallstadt MTSV Schwabing VfL Gummersbach TV Großwallstadt VfL Gummersbach VfL Gummersbach TuS Nettelstedt TV Großwallstadt
HSV Handball
THW Kiel THW Kiel THW Kiel
HSV Handball
SG Flensburg-Handewitt SG Flensburg-Handewitt SG Flensburg-Handewitt
TSV Grün-Weiß Dankersen
VfL Gummersbach VfL Gummersbach
TBV Lemgo
TSV Grün-Weiß Dankersen TSV Grün-Weiß Dankersen
VfL Bad Schwartau
THW Kiel THW Kiel
4
5
DAS SIEGER-GEN DES HANDBALLERS HEINER BRAND
DAS POKALJAHR 1980 - DAS FINALSPIEL DER DÖRFER
balls. Aber der Mann, der als Spieler und als Trainer Weltmeister werden soll- te, verkörperte wie kein anderer den Willen, ein solches Endspiel auch zu gewinnen. Jedenfalls zogen die Blau- Weißen aus Gummersbach das Spiel durch und gewannen mit 16:14 Toren (Halbzeit 6:6) gegen die Mittelhessen vom TV Hüttenberg. Sein Team sei an derartige Drucksituationen gewöhnt
Die Beziehung der Handball-Legende Heiner Brand zum DHB-Pokalwettbe- werb ist eine ganz besondere - wann immer Brand mit dem VfL Gummers- bach das Finale um den DHB-Pokal er- reichte, holte er auch den Titel. Schon in seiner Zeit als aktiver Spieler wuchs der Stellenwert des noch jungen Wett- bewerbs, den es seit 1975 gibt. Heiner Brand war ernüchtert, als er am
dass die Dörfer über den deutschen und internationalen Hallenhandball herrschten. Nicht die Clubs aus den größeren Städten Deutschlands sei- en der Nabel der Welt, resümierte das Nachrichtenmagazin Der SPIEGEL, sondern Vereine, die in Großwallstadt, Dankersen, Nettelstedt oder Hofweier Handball spielten. Die Orte waren so unbekannt, dass sich die Fernseh-Sender etwas überlegen mussten. „Einmal zeigte das ZDF, als wir im Europapokalendspiel standen, eine deutsche Landkarte und bezeich- nete uns als Gallisches Dorf“, erinnert sich TVG-Weltmeister von 1978 Klüh- spies. „Weil ja niemand wusste, wo die- ses Großwallstadt liegt.“ Aber woher sollte man diesen Ort mit nur 3.500 Einwohnern, der nur eine Hauptstraße besaß, auch kennen? Net- telstedt, das Dorf im Ostwestfälischen, war noch kleiner. Und wo lag dieses seltsame Hofweier, dessen TuS mit Ar- nulf Meffle und Arno Ehret ebenfalls zwei Weltmeister von 1978 hervorge- bracht hatte? Der Bundestrainer immerhin hatte eine Erklärung. „Ablenkung auf dem Dorf ist nicht so groß wie in der Stadt, wo es zu viele Diskotheken, zu viele Journa- listen, zu viele falsche Freunde gibt“, sagte Vlado Stenzel. Tatsächlich hatte die Beliebtheit des Handballs auf dem Land historische Gründe. Denn dort waren die Turnvereine von jeher stark. Und die hatten in den 1920er Jahren den Handball, das 1917 als Turnspiel erfunden worden war, in ihren Vereinen popularisiert, um die Ju- gend nicht an den Fußball zu verlieren. Jimmy Waltke, der beim TV Hille das Handballspielen gelernt hatte, nahe Dankersen und Nettelstedt, hätte in- des liebend gern gekickt. „Aber hier gab es nur Handball.“ „Die Handballmacht war auf dem Dorf“, bringt Kurt Klühspies die damaligen Verhältnisse auf den Punkt. Und das war auch ein Jahr nach dem Finale der Dörfer noch so. 1981 siegte der TuS Nettelstedt erstmals im DHB-Pokal, in zwei Finalspielen gegen den VfL Günz- burg.
wieder gegen den TV Hüttenberg (14:11), diesmal in Gießen vor ausver- kauftem Haus (3.000 Fans). Dabei hat- te der VfL, wie Brand zuvor angemerkt hatte, den Pokalwettbewerb nur „so mitlaufen lassen“. Und auch in den Jah- ren 1982 (18:19 und 18:12 gegen Groß- wallstadt) und 1983 (14:15 und 23:16 gegen Essen) siegte der Mann mit dem Sieger-Gen – eine Wortschöpfung, die indes erst später geläufig wurde. Selbst am fünften Pokalsieg des VfL im Jahre 1985 war Brand als Co-Trainer beteiligt. Als Chefcoach konnte er den DHB- Pokal ebenfalls einmal in die Höhe stemmen, das war 1993 mit der SG Wallau-Massenheim, im neuen Format in der Frankfurter Ballsporthalle. „Erst mit diesen Final Four-Turnieren war die Aufmerksamkeit für den DHB-Pokal größer geworden“, sagt der 72-Jähri- ge, der als Spieler also ein veritables Kunststück der deutschen Handball- geschichte schuf: Er gewann jedes verdammte nationale Endspiel, in dem er stand. Selbst dann, wenn die Kulis- se nicht zur Motivation beitrug, so wie an jenem tristen Tag 1977 in der Dort- munder Westfalenhalle.
Heiner Brand und die leere Halle
Kurt Klühspies mit Trainer Felix-Rüdiger Schmacke nach dem DHB-Pokalsieg 1980
10. Juni 1977 das Spielfeld der West- falenhalle betrat. Dortmund: Damit assoziierte der Abwehrchef des VfL Gummersbach eigentlich rauschende Handballfeste, im Europapokal war er hier schon von 13.000 Fans gefeiert worden. Nun sah er auf leere Sitzscha- len. Nur 1.800 Fans verloren sich im riesigen Rund. Dabei ging es um einen Titel, der VfL Gummersbach stritt mit dem TV Hüt- tenberg um den Titel des Pokalsiegers 1977. „Aber der Wettbewerb hatte da- mals noch nicht die große Bedeutung“, erinnert sich Brand. VfL-Manager Eu- gen Haas nahm ihn aber wichtig: „Das ist unsere große Chance, doch wieder ins große internationale Geschäft ein- steigen zu können.“ Motiviert waren Joachim Deckarm, Er- hard Wunderlich & Co. trotz der gäh- nenden Leere auf den Rängen. „Es war ein Finale. Und das war immer eine be- sondere Herausforderung“, sagt Brand. Das klingt nach einer Floskel des Hand-
gewesen, sagt Brand. Seitdem er sich 1972 einen Stammplatz beim VfL er- kämpft hatte, hatte er sämtliche End- spiele um die Deutsche Meisterschaft gewonnen, viermal in Folge, von 1973 bis 1976. „Wir wussten, was man dann zu tun hatte“, brummt Brand. Im folgenden Jahr 1978 verteidigte Brand mit dem VfL die Silbertrophäe,
Im Endspiel des DHB-Pokals 1980 du- ellierten sich der TV Großwallstadt und der TuS Nettelstedt – zwei Dorfverei- ne. Woher rührte die ländliche Domi- nanz? Der DHB-Pokal? Ja, sagt Kurt Klühspies lakonisch, „den haben wir 1980 noch so mitgenommen“. Die Saison war schließlich lang für seinen TV Groß- wallstadt, der mit vier Weltmeistern aus dem Jahr 1978 auflief. Die Mainfranken waren zum dritten Mal in Folge Deutscher Meister geworden. Und den Europapokal der Landesmeis- ter und den europäischen Supercup hatten sie ebenfalls schon gewon- nen, bevor sie sich am 17. Mai 1980 in der Sporthalle Gießen-Ost vor 2.500 Fans erstmals den nationalen Pokal schnappten. Der Sieg war den Favoriten nicht ge- schenkt worden. Erst als Jimmy Waltke 23 Sekunden vor Schluss an Manfred Hofmann scheiterte, den „Hexer“ im Tor der Großwallstädter, und im Gegen-
zug Peter Fischer zum 17:15 (9:8) -End- stand gegen den TuS Nettelstedt traf, hatte das Team von Trainer Felix-Rüdi- ger Schmacke den vierten Titel in der Saison perfekt gemacht: ein Novum in der deutschen Handballgeschichte. Ein großes Thema war das nicht. Statt- dessen wunderten sich die Beobachter,
Kurt Klühspies beim Sprungwurf im Spiel gegen den TuS Nettelstedt
Heiner Brand und Co. nach dem DHB-Pokalsieg 1983
6
7
FDGB-POKAL - DDR-PENDANT DES DHB-POKALS
Im K.o.-Modus wurde dabei nur in den ersten Runden gespielt. Am Ende blie- ben fünf Clubs übrig, die in Turnierform (Jeder gegen Jeden) den Pokalsieger er- mittelten. Ab 1985 waren die fünf großen Sportclubs – also der SC Magdeburg, der SC Empor Rostock, ASK Frankfurt/Oder, der SC Dynamo Berlin und der SC Leip- zig – für das finale Turnier gesetzt. Hin - zu kam noch ein weiteres Team, das sich gegen den Rest der DDR durchgesetzt hatte. Gespielt wurde ab 1980 stets in Rostock. „Die Sporthalle in Rostock war die mo- dernste Halle in der DDR“, erklärt Klaus Langhoff, der damalige Nationalcoach. „Und es war ein Prestigeprojekt von FDGB-Chef Harry Tisch.“ Zugleich sei der ZuschauerZzuspruch bei dem Rostocker Pokalevent immer sehr gut gewesen. „Die Halle war fast immer gut gefüllt“, er- innert sich auch Frank-Michael Wahl, der Olympiasieger von 1980, der den Pokal mit Empor insgesamt sieben Mal gewann (1980, 1981, 1985-1989). Als Gastgeber war Rostock „immer Favo- rit“, sagt Schmidt. Und auch Wahl räumt ein, dass der Heimvorteil seinem Club mitunter half, sich so oft in die Sieger- liste einzutragen. „Auf der anderen Seite musste man sich diesen Titel in diesen Turnierspielen auch hart verdienen.“ Nur einmal, nach dem Ende der DDR, wurde der Sieger in einer reinen K.o.- Runde ermittelt. 1991 siegte der HC Preußen Berlin mit Stephan Hauck und Lutz Grosser. Im folgenden gesamt- deutschen Finale unterlag das Team von Trainer Gunter Funk dann TuSEM Essen in zwei Spielen (21:25, 20:25). Danach mit war der FDGB-Pokal endgültig Ge- schichte.
AUF DEM MÜNCHNER RATHAUSBALKON - GENAUSO WIE DER FC BAYERN
Genauso wie der FC Bayern Mit dem Pokalsieg im Jahr 1986 trium- phierte mit dem MTSV Schwabing erst- mals ein Münchener Club. Dennoch fristete Handball in der bayrischen Me- tropole eher ein Nischendasein. Die einmalige Gelegenheit ließen sie sich nicht entgehen. Da die Handballer des MTSV Schwabing einmal im Mün- chener Rathaus empfangen wurden, als Pokalsieger des Jahres 1986, woll- ten sie den Kickern des FC Bayern in nichts nachstehen. „Wenn wir schon einmal hier sind“, sagte also Uli Roth, Kapitän des MTSV, zu Oberbürgermeis- ter Georg Kronawitter. „Dann gehen wir jetzt auch auf den Balkon!“ Von dort oben schmetterte die siegrei- che Handball-Mannschaft ihre Sieges- lieder hinunter auf den Marienplatz. Nur dass dort nicht 30.000 Fans jubel- ten wie bei den Meisterfeiern der Fuß- baller des FCB. „Da stand am Brunnen nur ein Pfarrer, der gerade vor 50 Leu-
ten eine Messe abhielt“, berichtet Roth und lacht. „Und der rief irgendwann wütend hoch, wir sollten leise sein.“ Der Handball fristete also in der bayri- schen Metropole ein Dasein in der Ni- sche. Dabei hatten zwei Mäzene über viele Jahre ein sagenhaftes mediales Ballyhoo entfacht. Da war einerseits Uli Backeshoff, der den TSV Milbertsho - fen managte und 1984 den Handball- Star Erhard Wunderlich verpflichtete. Auf Schwabinger Seite promotete Urs Zondler, ein schillernder Schweizer Un- ternehmer, den Club mit allen Mitteln. Er ließ etwa die Schauspielerin und Sängerin Christine Zierl einfliegen, die in den 2000-Jahren auch als Dolly Dol- lar bekannt wurde. Zierl, die in vielen Filmen und Theaterstücken auftrat, war auch wegen ihres Dekolletees be- kannt, dieses präsentierte sie in der Halbzeitpause – so bescherten Fotos dem Club und seinen Sponsoren bun- desweite Sichtbarkeit. „Die Fotos in
den Zeitungen ließ sich Zondler von den Partnern extra bezahlen“, berich- tet Roth. Manchmal warf Zondler mit Geld um sich. „Einmal hat er Michael Sahm und mir einen 500 Mark-Schein in die Hand gedrückt und gesagt: zum Tanken“, er- zählt Roth. Ein anderes Mal wies Zond- ler seinen Chauffeur an, die Handballer mit seinem Rolls Royce zu jedem an- gesagten Club zu fahren, um sie dort den Türstehern vorzustellen. Und fügte hinzu: „Sucht Euch einen Laden aus: Heute Abend ist für Euch alles frei.“ Aber 1986 hatte sich Zondler längst vom Handball abgewendet, die Schlag- zeilen fielen weniger bunt aus. So ka - men zum Finalrückspiel um den DHB- Pokal am 26. Mai 1986 nur etwa 2.000 Fans in die Rudi-Sedlmayr-Halle. Dabei hatten die Schwabinger im Hinspiel in Gummersbach trotz hohen Rück- stands (2:7) sensationell mit 32:29 gegen den VfL triumphiert. „Da wuss- ten wir“, sagt Roth, „die Chance auf den Titel ist jetzt da“. Das Rückspiel in Mün- chen war ein harter Fight. Einige spra- chen von Boxkämpfen, Schwabings Coach Josip Milkovic gar von „Krieg“. Die Gummersbacher, die drei Rote Kar- ten kassierten, schimpften später über Schauspieleinlagen des Gegners. Aber von dieser Hektik profitierten am Ende Schwabings Bernd Timm, Andreas Dör- höfer & Co. Die Gastgeber verkürzten am Ende von 14:18 auf 16:18 und feier- ten damit den ersten Titel eines Mün- chener Handball-Teams. Und genossen – trotz des fehlenden Publikums – die Aussicht auf den Marienplatz.
Frank-Michael Wahl mit dem FDGB-Pokal 1985
Das ostdeutsche Pendant zum DHB- Pokal war der FDGB-Pokal - Pendant des DHB-Pokals in der DDR. Ausgespielt wur- de er zumeist in Rostock. Auch deshalb wurde Empor Rostock zum Rekordsieger. An den FDGB-Pokal erinnert sich Hand- balllegende Wieland Schmidt gern. „Die Wochen am Meer zum Schluss der Sai- son waren immer sehr schön“, sagt der frühere Weltklasse-Torhüter des SC Magdeburg. Denn sie wohnten, wenn im Mai der nationale Pokalwettbewerb ausgespielt wurde, im Ostseebad War- nemünde. „Da kamen wir ja sonst nicht so oft hin, das war wie Urlaub“, erklärt Schmidt. In sportlicher Hinsicht, sagt Schmidt, war der Pokal des Freien Deutschen Ge- werkschaftsbundes jedoch nicht das höchste Ziel im DDR-Handball. Zumin- dest für seinen Club, den SCM. „Natür- lich wollten wir nicht verlieren. Aber wir waren ja oft schon für den Europapokal der Landesmeister qualifiziert.“ Am Ende einer langen Saison hätten die Trainer das Turnier daher oft genutzt, um Talen- te zu testen. „Deshalb habe ich oft auch nur zugesehen.“, sagt der Olympiasieger von 1980. Bereits seit 1971 war der nationale Pokal in der DDR ausgespielt worden. Aber den Wettbewerben war bis 1975, wie ein Funktionär im Verbandsorgan Handball kritisierte, „nicht immer und überall die ihnen gebührende Bedeutung beige-
FDGB-Pokal Medaille von Wieland Schmidt
messen worden“. Nach dem Beschluss des Weltverbandes IHF, ab 1975/76 einen Europapokal der Pokalsieger ein- zuführen, aber stieg der Stellenwert des FDGB-Pokals.
Der Schwabinger Michael Sahm im Sprungwurf
8
9
DER AUFSTIEG DES FINAL4-TURNIERS UM DEN DHB-POKAL ZUM SPITZENEVENT
Mit dem Umzug in die Hamburger Color Line Arena stieg das DHB-Pokal-Final4 zu einem Event auf. War der Zuschauer- zuspruch bei der Premiere des Formats 1993 noch ausbaufähig, sollte sich dies schon rasch ändern. Heute gehört das Lidl Final4 zu den größten Sportveran- staltungen Deutschlands. Fünf Sekunden waren noch zu spielen im Endspiel um den DHB-Pokal des Jah- res 2003, und in diesen fünf Sekunden sollte sich für die SG Flensburg-Hande- witt alles verändern. Linksaußen Lars Christiansen startete zum finalen Tem - pogegenstoß, kreuzte das Spielfeld – und überwand den Essener Keeper Gri- scha Hannawald mit der Schlusssirene. Als das 31:30 (27:27, 16:12) gegen den TuSEM Essen feststand, stürmten sei- ne Mitspieler auf ihn zu und begruben ihn förmlich unter sich, um den ersten großen nationalen Titel der Nordlichter aus Flensburg zu feiern. Auf der Tribü- ne kämpfte Manfred Werner mit seinen Tränen. „Es ist wie ein Wunder“, sagte das SG-Urgestein. Der Funktionär meinte das in doppel- ter Hinsicht. Gemünzt war das auf den Triumph seiner SG, der Aufstieg des Handballdorfes Handewitt in die inter- nationale Spitze mutete in der Tat sur- real an. Aber das galt in Werners Augen ebenso für die grandiose Kulisse. Als Lars Christiansen an diesem histori- schen Tag mit seinem Tor die Entschei- dung erzwang, schauten fast 13.000 Fans dabei zu. Es war eine atemberau- bende Atmosphäre beim ersten Final4 in der Hamburger Color Line Arena. Ein Szenario, das für Manfred Werner an- gesichts der teils schwierigen Erfah- rungen mit diesem Turnier unwirklich erscheinen musste. Werner dachte zurück an das Jahr 1993, als der 1992 gegründete Ligaausschuss um Heinz Jacobsen in Frankfurt das Fi- nal4 erstmals in der Frankfurter Ball- sporthalle getestet hatte. Die Premiere im Juni 1993 verlief nämlich anders als erhofft. Die Ränge der Arena waren nur zur Hälfte besetzt. Und das, obwohl mit der SG Wallau-Massenheim und dem Zweitligisten Eintracht Wiesbaden
weise ein VIP-Zelt auf dem Parkplatz hinter der Halle aufgebaut.“ Doch die Zuschauer nahmen den Event an. Die Halle, die knapp 4.500 Fans fasste, war stets ausverkauft. Schon bei der ers- ten Austragung 1994 erhielten die vier Teilnehmer eine fünfstellige Prämie. Die Nachfrage entwickelte sich so prächtig, dass die Liga 2001 einen Um- zug in eine andere Stadt in Erwägung zog, eine Option war die neue Kölnare- na. Doch als mit der Color Line Arena eine moderne Spielstätte entstand, blieb das Turnier in Hamburg. Vor dem Umzug in den Volkspark jedoch be- fürchtete Werner, der im Präsidium der Liga für die Finanzen zuständig war, die Halle nicht füllen zu können. Er sorgte sich um die just neugegründete HBL GmbH, die den Event nun verantwor- tete. „Ich hatte starke Bauchschmerzen, das gebe ich zu, das Risiko erschien mir sehr groß“, berichtete Werner später. „Doch dann sahen wir, als der Kartenverkauf im Internet freigeschaltet wurde, dass die Karten wie warme Semmeln weg- gingen.“ Die Erleichterung war groß. Und diese positive Entwicklung hält bis heute an. Nach fast 30 Jahren in Hamburg wechselte das große Final- wochenende um den DHB-Pokal 2023 nach Köln. Seither verfolgen 19.750 erstmals in der LANXESS arena in Köln, einer der größten und modernsten Ver- anstaltungshallen der Welt, das Premi- um-Event.
THW Kiel nach dem DHB-Pokalsieg 1999
DER LANGE WEG DES THW KIEL ZUM ERSTEN POKALSIEG
Übergabe des DHB-Pokals an die SG Wallau- Massenheim 1993
Mit zwölf Titeln ist der THW Kiel heute Rekordpokalsieger. Für den ersehnten ersten Triumph im Jahre 1998 nahmen die „Zebras“ einen langen Anlauf. Am 4. April 1998 drohte dem THW Kiel erneut ein Rückfall in seine Zeitschleife des DHB-Pokals. Im Halbfinale des Fi - nal Four-Turniers spielte das Team von Trainer Noka Serdarusic in der Ham- burger Alsterdorfer Sporthalle eine fürchterliche erste Halbzeit und lag gegen den Zweitligisten TuS Schutter- wald mit 13:14-Toren zurück. Regisseur Magnus Wislander, der große Schwede, fürchtete schon, „dass wir das Endspiel nicht mehr erleben werden“. Wie eine düstere Handballversion des Hollywood-Klassikers „Und täglich grüßt das Murmeltier“ waren den „Ze- bras“ die Jahre zuvor erschienen. So wie Bill Murray immer wieder densel- ben Tag erleben musste, scheiterten die „Zebras“ im Pokal – selbst, wenn
sie die Meister-Serien beherrschten. „Wir hatten einfach auch viel Lospech“, erinnert sich Kreisläufer Klaus-Dieter Petersen. „Wir haben so oft in Magde- burg und in Lemgo verloren.“ Zweimal immerhin waren die „Zebras“ ins Endspiel eingezogen. 1979 waren sie Grün-Weiß Dankersen unterlegen, 1990 in zwei Finalspielen dem TSV Mil- bertshofen. Doch damals war der THW noch nicht der Branchenführer. Im Jahr 1995 immerhin hatte das Team unter Trainer Serdarusic das erste Mal das Final Four erreicht, das sich seit 1994 in Hamburg erfolgreich etabliert hatte. Aber dort unterlagen sie im Halbfina - le dem späteren Sieger TBV Lemgo. In einem Drama selbstverständlich, nach Verlängerung. Im Frühjahr 1998 lag der THW, der Meister der Jahre 1994, 1995 und 1996, in der Bundesliga erneut auf Titelkurs. Und vor erneut ausverkauftem Haus
(4.200 Fans) schien der Rahmen für den ersten Pokalsieg der Historie per- fekt. „Das war auf den Rängen schon eine gute Kieler Stimmung“, erinnert sich Petersen. „Aber das Schwierige ist nun einmal, dass man im Pokal immer performen muss. Das sind die berühm- ten eigenen Gesetze des Pokals.“ Jedenfalls mühte sich der THW Kiel im Halbfinale von 1998 gegen die von Mar - tin Heuberger trainierten Schutterwäl- der doch zu einem Sieg (28:24). Und dann geschah das Unfassbare: Als es einen Tag später gegen den TV Nieder- würzbach ging, präsentierten sich die Kieler wie verwandelt – und “zerstör- ten” die Saarländer um Torhüter Andrei Lavrov, Kreisläufer Christian Schwarzer und Regisseur Markus Baur mit einem sagenhaften Tempohandball. Am Ende stand es 30:15 (11:6), die Prot- agonisten Wislander, Petersen, Thomas Knorr und Wolfgang Schwenke feier- ten. Es ist bis heute der höchste Final- sieg in der fünfzigjährigen Historie des Wettbewerbs. „Ich weiß, dass im Finale jeder ein spannendes Spiel erwartet“, sagte Serdarusic. „Es tut mir leid, aber ich habe auch so ein schönes Spiel ge- sehen – von meiner Mannschaft.“ Mit diesem Kantersieg war der Kieler Knoten im Pokal mit einem Male zer- schlagen. In den zwei folgenden Jahren siegte der THW ebenfalls – und feierte den ersten Hattrick in der Geschich- te des Pokal-Wettbewerbs. Der Zeit- schleife war er damit endgültig ent- ronnen.
zwei Klubs aus der Nähe von Frankfurt teilnahmen. So mussten die vier Teil- nehmer (Wallau, Wiesbaden, Dormagen und Hameln) das Defizit ausgleichen. Bei der Reflexion kam Jacobsen die zündende Idee. „Die Vorstellung war, in eine Stadt zu gehen, die als Stand- ort ähnlich populär ist wie Berlin im Fußball“, erzählt er. Doch die Skeptiker befürchteten weitere katastropha- le Veranstaltungen für den Fall, dass sich vier Süd-Vereine für Hamburg qualifizierten. Hamburg war seinerzeit eine Handball-Diaspora; seit Mitte der 1970er Jahre spielte dort kein Erstligist mehr. Aber der Visionär Jacobsen setzte sich durch, so gastierte das Final4 1994 erstmals in der Alsterdorfer Sporthalle. „Wir mussten viel improvisieren“, sagt Jacobsen. „Damals haben wir beispiels-
Manfred „Manni“ Werner und seine SG Flensburg-Handewitt nach dem DHB-Pokalsieg 2004
1990 unterlag der THW Kiel dem TSV Milbertshofen im DHB-Pokalfinale
10
11
TuSEM-Kapitän Thomas Happe reckt zum Abschied den DHB-Pokal in die Höhe
DER POKALSIEG 2006 ALS HAMBURGER WENDEPUNKT
Lauf in der Schlussviertelstunde dreh- ten. Held des Spiels aber war der 40jäh- rige Torhüter Goran Stojanovic, der bei einer 4:7-Unterzahl den letzten Ge- waltwurf von Mariusz Jurasik parierte, damit den 26:25 (9:10)-Sieg festhielt und Freudentränen vergoss. Der DHB-Pokal diente den Hanseaten an diesem 9. Mai 2006 als Rettungs- anker. Turbulente Zeiten lagen hinter dem Team von Martin Schwalb, der im Herbst 2005 das Traineramt über- nommen hatte. Die großen Träume des Clubs, der sich im Sommer 2002 mit der Lizenz des VfL Bad Schwartau in Hamburg angesiedelt hatte und eine Diaspora des Handballs wieder mit Le- ben füllen wollte, schienen zerplatzt. Hens war im Sommer 2003, damals 23 Jahre alt, aus Wallau nach Hamburg gekommen und als Gesicht des neuen Projekts aufgebaut worden. „Ich wuss- te damals, dass Torsten Jansen auch kommen würde und dachte: ‚Das ist eine geile Stadt, da kann etwas Großes entstehen, das ein super Projekt‘“. Auch die Brüder Guillaume und Bertrand Gille waren schon da, um den Standort wie- derzubeleben, der seit 1976 nicht mehr Bundesligahandball gesehen hatte. Aber die nötigen Zuschauer und Spon-
Nach dem Pokalsieg des HSV Hamburg 2006 schuf Pascal Hens einen ikoni- schen Moment. Für den zuvor geplag- ten Bundesligastandort ging es danach aufwärts. Das Foto. „Das habe ich immer noch in meinem Kopf“, schwärmt Pascal Hens. Es zeigte die großen Emotionen nach dem Finale um den DHB-Pokal im Jahre 2006, als der Profi in der ColorLine Are - na nach dem Sieg des HSV Hamburg mit einem Satz auf die Bande sprang, die Arme weit ausbreitete und sich von den eigenen Fans feiern ließ. „Ich liebe dieses Bild“, sagt Hens. Es war eine Szene, die an die ikoni- schen Bilder aus dem Hollywood-Opus „Titanic“ (1997) erinnert, in dem Kate Winslet auf dem Bug des Dampfers steht und zu fliegen scheint. Tatsäch - lich war der HSV ja nur wenige Monate zuvor fast zerschellt. „Wir waren kurz zuvor noch bankrott“, erinnert sich Hens an die düsteren Tage, in denen die Renaissance des Hamburger Bundesli- ga-Handballs bedroht war. Die Hauptfiguren in dem dramatischen Finale vor 13.000 Fans gegen die SG Kronau-Östringen waren Hens (fünf Tore) und Roman Pungartnik (acht Tore), die das Spiel durch einen 4:0-
HAPPES ENDSPIEL UND DAS ERSTE SIEBENMETERWERFEN
Feierte auch 2010 mit dem HSVH den Pokalsieg: Pascal Hens
soren blieben anfangs aus. Erst der Mäzen Andreas Rudolph rettete den Verein. Aber noch im Mai 2005, als der neue Präsident den Trainer Bob Han- ning nach einer „Spielerrevolte“ frei- stellte, prophezeiten viele Kritiker dem Projekt ein frühzeitiges Aus. All das blies der HSV Hamburg mit sei- nem ersten großen Titel einfach weg. Der DHB-Pokal 2006 erwies sich als Wendepunkt des Hamburger Hand- balls. Hens spürte das instinktiv nach Abpfiff. „Deswegen musste ich das einfach zelebrieren“, sagt er über jene hanseatische Titanic-Version, die er nach dem Endspiel schuf. „Es war fan- tastisch, diesen Moment mit unseren Fans zu teilen.“
Ein dramatisches Siebenmeterwer- fen entschied 1992 erstmals über den DHB-Pokalsieg. Für den Sieger TuSEM Essen war es das große Ende einer glorreichen Ära. Die Menge in der Essener Grugahalle jubelte ekstatisch, als Thomas Hap- pe den DHB-Pokal in Empfang nahm, 6.000 Menschen feierten den Kapitän des TuSEM Essen. „Das war schon ein großes Ding“, blickt Happe heute auf diesen Moment zurück. Auch weil er, der 1984 mit olympischem Silber de- koriert worden war, mit diesem 24. Mai 1992 seine sportliche Karriere beende- te. Mit dem TuSEM hatte er fast alles ge- wonnen, seit er 1982 von Dortmund gekommen war. Dreimal, 1986, 1987 und 1989, waren sie Deutscher Meister geworden, und nun hielt Happe nach 1988 und 1991 erneut den Pokal in der Hand. Ein schöner Abschluss. Der TuSEM hatte in dieser Zeit auch Künstler in seinen Reihen, etwa Links- außen Jochen Fraatz. Aber Geschichte schrieb der Klub vor allem mit einer kompromisslosen Defensive: Die Ab- wehr erlangte Berühmtheit mit dem „jugoslawischen“ 3:2:1-System, das Ju- goslawien 1972 zu Olympiagold geführt hatte. „Wir waren schon sehr beweglich und für jeden Angriff schwer zu bespie - len“, resümiert Happe heute. Er selbst agierte als vorgezogene Spitze, die Halbspieler Alfred Gislason und Tho- mas Springel standen am Neunme- ter-Kreis. „Und wenn doch mal jemand durchkam, dann räumte ihn Piet Krebs
in der Zentrale ab.“ Oder spätestens Supertorwart Stefan Hecker. Die Essener kultivierten also den Tor- mangel. Manchmal nahmen sie sich in der Pause vor, dem Gegner keine zehn Tore zu genehmigen. „Das war so ein Vernichtungsgedanke“, erinnert sich Krebs, der 1992 aber wie Gislason schon seine Laufbahn beendet hatte. In der Geschichte des DHB-Pokals war 1992 aber ebenfalls ein historischer Schnitt. Es war das letzte Mal, dass der Sieger des Endspiels in Hin- und Rückspiel ermittelt wurde (ab 1993 gab es ein Final4). Und dabei kämpfte der krasse Außenseiter wie ein Löwe: Der Zweitligist Flensburg-Handewitt, der das Hinspiel in der WikinghalleWiking Halle mit 19:20 verloren hatte, siegte zur Verblüffung aller Experten dann mit 20:19 in Essen. Das hieß: Siebenmeterwerfen. Ein Dra- ma. Nach jeweils fünf Schützen stand
es 4:4, weshalb nun Wurf um Wurf ent- scheiden musste. Fraatz verwandel- te für Essen. Als Horst Wiemann, der bärenstarke Kreisläufer, daraufhin nur den Pfosten traf, sank er zu Boden. „Ich bin so frech zu sagen, dass wir in bei- den Spielen die bessere Mannschaft waren“, sagte SG-Trainer Noka Serdar- usic. Wenn das im Essener Süden auch nie- mand wahrhaben wollte, insbesondere nicht der umtriebige Manager Klaus Schorn, war damit das Ende einer Ära eingeläutet. „Schorn war ein genialer Marketingmann“, sagt Happe, der da- nach ins Management einstieg. „Aber ich habe schon gesehen, dass sich das wirtschaftliche Umfeld verändert.“ Klubs wie Kiel und Flensburg waren dem TuSEM bald finanziell voraus. Der Pokalsieg vom 24. Mai 1992 blieb der letzte nationale Titel für die Defensiv- strategen.
Die Hamburger Spieler kurz nach Abpfiff
Horst Wiemann sinkt nach dem verworfenen Siebenmeter zu Boden
12
13
Grenzenloser Jubel bei Youngster Fabian Wiede
DIE WIEDERGEBURT DES SC MAGDEBURG
Der Sieg des SC Magdeburg im DHB- Pokal 2016 war eine sportliche Sen- sation. Und er verschaffte dem jungen Chefcoach Bennet Wiegert die nötige Luft zum Atmen. Es war ein Überfall via Telefon, den Bennet Wiegert an einem Sonntag- abend im Dezember 2015, bei Bifteki und Souvlaki erlebte. Man brauche ihn nun als Cheftrainer des SC Magdeburg, sagte Geschäftsführer Marc-Henrik Schmedt. „Würdest Du übernehmen?“ Es sei dringend, am nächsten Tag ent- scheide der Aufsichtsrat. Mensch Marc, erwiderte Wiegert, der Jugend- koordinator des Klubs, „ich sitze gera- de beim Griechen.“ Wiegert verlangte zwei Stunden, um sich mit seiner Familie zu beraten. Er war junger Familienvater und wusste um die Größe des Amtes. Sein Vater Ingolf hatte einst als Kreisläufer den Mythos SCM genährt; er selbst war als Profi Deutscher Meister und Cham - pions League-Sieger geworden. Vor allem aber war er erst 34 Jahre alt und hatte keinerlei Erfahrung als Chef- trainer. Das Leben als SCM-Coach sei ein Grenzgang, warnte der Vater: „Hier oder da ein Tor weniger, und du stehst auf der Abschussliste.” Aber Wiegert sagte zu und übernahm den SCM, der im Mittelfeld der Liga vor sich hindümpelte und hoch verschul- det war. Und konnte es am 1. Mai 2016 wie viele Fans des Klubs kaum fassen, als sein Team im DHB-Pokal den ersten Titel seit 2002 feierte. „Kaum jemand hat uns diesen Erfolg zugetraut“, sagte Wiegert, der noch wie ein Spieler aus- sah. „Diejenigen, die daran geglaubt
Führte den SCM 2016 zum Titel: Bennet Wiegert
DIE RICHTIGE KABINE
haben, standen heute in meiner Mann- schaft.“ Vorausgegangen waren zwei Dramen, wie so oft in dem brodelnden Kessel der Hamburger Barclaycard Arena. Im Halbfinale gegen den Bergischen HC (36:33) siegte der SCM erst nach Ver- längerung. Und in der Neuauflage des Endspiels von 2015 rang das Team um Kapitän Fabian von Olphen den Top- favoriten SG Flensburg-Handewitt mit 32:30-Toren nieder. Der SCM spielte wieder im Europapokal. Was sich nicht nur für Wiegert unwirklich anfühlte. Kaum im Amt, war dem jüngsten Trai- ner der Liga ein harter Wind ins Gesicht geweht. Er sei zu unerfahren, hieß es, allein der Name habe ihm zum Job ver- holfen. Der Titel verschaffte dem Trai - ner-Novizen nun die nötige Luft zu Atmen. „Der Pokalsieg hat die Lage be- ruhigt und war der Dosenöffner, mir die volle Power einzuräumen“, so betrach-
tet es Wiegert heute. In der Folge näm- lich entschied der Club, Wiegert zum Geschäftsführer Sport zu ernennen. Einige hofften 2016, der überraschen - de Titel werde eine ähnliche Initialzün- dung darstellen wie 1996, als der SCM erstmals den Pokal gewonnen hatte und fünf Jahre später Meister wurde. Davon wollte Wiegert damals nichts wissen. Tatsächlich verschaffte der Pokalsieg dem jungen Coach die Ruhe, um das Team nach seinen Ideen umzu- bauen und zu entwickeln. Sechs Jahre später, 2022, gewann der SCM wieder eine Meisterschaft und wurde, als im Jahr darauf auch der Champions League-Sieg gelang und 2024 das Double aus Meisterschaft und Pokal, gar als „beste Mannschaft der Welt“ (Stefan Kretzschmar) beju- belt. Eine Erfolgsgeschichte, die Wie- gert an jenem Sonntagabend beim Griechen als Utopie abgetan hätte.
Mit dem sensationellen DHB-Pokalsieg 2014 gewannen die Füchse Berlin ihren ersten großen Titel. Eine Bestätigung des Weges, Talente wie Paul Drux zu entwickeln. Zur Pause stand es Remis, 11:11, das Finale um den DHB-Pokal zwischen der SG Flensburg-Handewitt und den Füchsen Berlin war völlig offen. Eine rhetorische Frage jedoch machte klar, dass dieses Zwischenresultat an die- sem 1. Mai 2014 dem Außenseiter in die Karten spielte. „In welcher Kabine wollt Ihr jetzt sitzen?“, fragte Füchse-Coach Dagur Sigurdsson, als die Profis sich den Schweiß abtrockneten. „In unse- rer? Oder in der Flensburger?“ Der Druck lag jedenfalls nicht bei den Füchsen, zumal sie zum Final4-Tur- nier mit vier Junioren angereist waren, mit Paul Drux, Fabian Wiede, Jonas Thümmler und Colja Löffler. Entspre -
chend befreit spielte die Mannschaft, die vom spanischen Weltmeister Iker Romero geführt wurde, nach Wieder- beginn auf. Und da Torwart Silvio Hei- nevetter hielt wie der Teufel, hielten die Füchse bis zum Ende mit – und holten tatsächlich mit dem 22:21 den ersten großen nationalen Titel nach Berlin. Dem isländischen Trainer, der seit 2009 im Amt war und für gewöhnlich Cool- ness ausstrahlte, standen Tränen in den Augen. „Das war ein Spiel, das wir wahrscheinlich nie vergessen wer- den“, sagte Sigurdsson. Dieser Pokal- sieg sei „die Krönung für unsere lange und harte Arbeit“, jubelte Manager Bob Hanning. „So ein Titel ist für die Außen- darstellung und für die Kommunikation in einer Metropole wie Berlin elemen- tar wichtig. Das ist eine Art Daseinsbe- rechtigung.“ Als Reinickendorfer Füchse hatte der
Club in den 1980er Jahren eine kurze Blüte erlebt, Höhepunkt war der Einzug ins Pokalfinale 1984. Erst Hanning hat - te den Berliner Handball seit 2006 mit dem Schwerpunkt auf die Jugendarbeit wieder aus der Versenkung geführt. Dass Talente wie Drux und Wiede einen Anteil am Pokalsieg hatten, bestätigte den eingeschlagenen Weg. Drux, damals 19 Jahre alt, hatte im Halbfinale gegen Melsungen den Tref - fer zum 30:28-Sieg erzielt, auch der ein Jahr ältere Wiede hatte Einsatz- zeiten erhalten. „Dass auch wir für den Pokal etwas geleistet haben, war ein tolles Gefühl“, erinnert sich Drux heu- te an diesen historischen Tag zurück. Von Titeln wie diesen hatte er als klei- ner Junge geträumt. „Für mich war der Sieg des DHB-Pokals unfassbar wich- tig“, sagt der 29-Jährige. „Und es war der erste große nationale Titel auch für den Klub.“ Drux und Wiede wurden bald auch Na- tionalspieler und entwickelten sich zu Gesichtern des Berliner Handballs. „Paul ist die DNA des Clubs“, sagt Han- ning, gemeinsam mit Wiede sei er die wichtigste Integrationsfigur der Füch - se. Ohne dieses Duo würden Stars wie Mathias Gidsel oder Dejan Milosavljev heute nicht das Füchse-Trikot tragen, ist der Manager überzeugt. Auch insofern erwies sich der histori- sche Tag im DHB-Pokal, an dem Paul Drux & Co. in der richtigen Kabine sa- ßen, als Meilenstein in der Geschichte der Füchse Berlin.
Grenzenlose Freude bei Kapitän Fabian von Olphen
Silvio Heinevetter in der Kabine nach dem Pokalsieg
14
15
Christoph Theuerkauf wurde für das Final4 reaktiviert
GENSHEIMERS GESTILLTE SEHNSUCHT
Neunmal scheiterte Uwe Gensheimer mit den Rhein-Neckar Löwen beim Pokal-Final4 in Hamburg. Nach dem Triumph 2023 in Köln flossen beim Flü - gel-Star die Tränen. Fast alle stürmten auf Albin Lagergren zu, der den letzten Siebenmeter ver- wandelt und damit den Triumph der Rhein-Neckar Löwen besiegelt hatte. Uwe Gensheimer aber sank wie in Zeit- lupe zu Boden und lag eine gefühlte Ewigkeit auf dem Parkett der riesigen Lanxess Arena. Alles sei an ihm ab- gefallen, erinnert sich der Linksaußen an diese Szene, in der er mit dem Tur- nier endlich seinen Frieden schließen konnte. „Und es sind auch Tränen ge- kullert.“ Es gab viele emotionale Geschichten, die beim ersten Final4-Turnier des DHB-Pokals in Köln geschrieben wur- den. Da war dieser blutjunge Torwart David Späth, der die Löwen mit einer Siebenmeterparade in die Verlänge- rung des Endspiels gerettet hatte. Da war der furios aufspielende Spielma- cher Juri Knorr. Die größte Geschichte aber erzählte in diesen Momenten, in denen der 36:34-Sieg der Löwen gegen den SC Magdeburg feststand, ohne Zweifel Uwe Gensheimer. Für den Linksaußen, der mit seinem fa- mosen Handgelenk die Trickkiste des Handballs um viele Facetten erweitert hatte, war der DHB-Pokal bis dahin wie ein einziger Albtraum erschienen. Er war 19 Jahre alt, sein Stern eben auf- gegangen, als er das erste Mal im End-
Der Jubel nach Lagergrens letztem Siebenmeter
THEUER, DER PROPHET
spiel scheiterte, 2006 im Finale gegen den HSV. Auch 2007 und 2010 hatte er zusehen müssen, wie die Gegner nach dramatischen Endspielen den Pokal in die Höhe stemmten. Wie oft war sein Team als Favorit zum Final4-Turnier in die Hansestadt gefah- ren – und war stets gescheitert. Neun- mal fuhr Gensheimer ohne Titel wieder nach Hause. „Es lag für uns irgendwie ein Fluch über der Arena in Hamburg“, sagt er. Als die Löwen diesen Fluch endlich bannten, 2018, schaute Gens- heimer aus Paris zu, wohin er 2016 ge- wechselt war. Und dann passierte plötzlich doch der Pokalsieg – in Köln. „Es war ja auch to- tal verrückt, wie das ganze Wochen- ende abgelaufen ist und auch die Wo- chen zuvor im Verein“, erinnert sich Gensheimer. Das Team von Trainer Se- bastian Hinze befand sich im Formtief, reiste mit einer Niederlagenserie im Gepäck in die Domstadt – und schlug im Halbfinale sensationell hoch die
Flensburger (38:31), die seit Monaten ungeschlagen waren. „Unser Mindset war: Wir fahren da jetzt hin und probieren es zu genießen“, blickt Gensheimer zurück. „Wir hau- en alles da rein und schauen, was am Ende dabei rauskommt.“ Heraus kam ein Finale, das Gensheimer als „men- tale Achterbahnfahrt“ in Erinnerung hat. Neun Tore erzielte er, spielte über- ragend. Aber als er in der Verlängerung zwei Mal vom Siebenmeter-Strich scheiterte, schwante ihm wieder Bö- ses. Die Wiederholung seiner Leidens- geschichte. Aber Köln mit seiner famosen Kulisse erwies sich als Erlösung. Gensheimer traf als erster Schütze im Siebenme- ter-Werfen wie alle Löwen-Schützen – während auf der anderen Seite Gisli Kristjansson an Joel Birlehm scheiterte. Als zum Schluss Lagergren eiskalt ver- wandelte, war die große Sehnsucht des Uwe Gensheimer nach dem Pokal end- lich gestillt.
Beim Finalturnier 2021 gelang dem TBV Lemgo Lippe eines der größten Come- backs der Pokalgeschichte. Einer sei- ner Helden, Christoph Theuerkauf, hatte den Titel vorhergesagt. Am Ende, als er die silberne Trophäe in den Händen hielt, klang für den Pro- pheten alles ganz logisch. „Ihr haltet mich alle für bescheuert“, sagte Kreis- läufer Christoph Theuerkauf. „Aber ich habe das gesagt. Ich habe das jedem gesagt.“ Dabei war der Triumph des TBV Lemgo Lippe im DHB-Pokal 2019/20, der mit dem 28:24-Sieg im Finale gegen Melsungen besiegelt war, eine sportliche Sensation. Aber er war noch aus anderen Grün- den ein spezielles Kapitel deutscher Handballgeschichte. Nie zuvor hatte es länger gedauert, den Sieger des DHB- Pokals zu ermitteln. Aufgrund der Co- rona-Pandemie musste das Final4 des Jahres 2020 um ein ganzes Jahr ver- schoben werden, so dass der Sieger erst nach fast zwei Jahren, am 4. Juni 2021, feststand. Und noch immer sorg- te das Virus für leere Ränge: Nur 2.000 Fans durften in die riesige Halle. Für Theuerkauf war die Verlegung schmerzlich. „Ich hatte für 2020 eine Loge gemietet und meine Wegbeglei- ter eingeladen, um mein Karriereende würdig zu begehen. Alles war gebucht, Hotelzimmer, alles“, erzählt er. Die Ab- sage traf ihn, der nun in die Jugend- arbeit des TBV wechselte. „Das war für mich sehr schade.“ Doch dann öffnete sich doch wieder eine Tür: Wegen Personalnot wurde
er vor dem Final4 von Trainer Florian Kehrmann reaktiviert. Obwohl der TBV für das Halbfinale das härteste Los er - wischt hatte – Rekordpokalsieger THW Kiel – glaubte Theuerkauf weiter fest an den Titel. Abenteuerlich war, was dem Wunder vorausging. „Geplant war, dass wir erst ein Hotel beziehen, wir wollten dann Essen und Spazierengehen, um uns zu fokussieren“, berichtet Theuerkauf. Doch der Bus geriet in einen Monster- stau. „Unser Busfahrer musste viele Regeln übertreten, damit wir es über- haupt rechtzeitig in Halle schafften.“ Sie hätten sich wie Amateure gefühlt, als sie in Badelatschen aus dem Bus stiegen und sahen, wie die THW-Stars in feiner Montur anreisten. „Die hatten auch ein mobiles Kältebad dabei und Spinning-Räder für die Regeneration“, erinnert sich Theuerkauf. Die Folge ihrer Anreise: eine desaströse erste Halbzeit: „Der THW hat uns überrollt.“
Zur Halbzeit lag der TBV mit sieben To- ren zurück.
Nun gut, sagte jemand in der Lemgoer Kabine, „jetzt haben wir nichts mehr zu verlieren, das ist fast besser, als mit acht Toren zu führen.“ Und dann ge- schahen ab Minute 36 diese „24 irrwit- zigen Minuten“ (Süddeutsche Zeitung), in denen der TBV einen 14:21-Rück- stand in einen 29:28-Sieg verwandelte. „Unser Keeper Johannesson hat alles gehalten“, sagt Theuerkauf. „Und wir alle waren plötzlich einem Flow.“ Durch diesen glorreichen Sieg, eines der größten Comebacks der Pokalge- schichte, tankte das Team viel Selbst- vertrauen – und schlug im Endspiel auch die MT Melsungen, diesmal mit einem überragenden Keeper Finn Ze- cher. „Das ist einfach der Pokal“, sagt Theuerkauf heute über die Spiele sei- nes Lebens. Damals rief er ins Mikro- fon: „Der Glaube versetzt Berge!“
Ein höchstemotionales Wochenende für Uwe Gensheimer
Die Spieler des TBV nach dem Titelgewinn
16
17
Powered by FlippingBook